BOTTROPERIN ALS KIND MISSBRAUCHT: „HORROR, WENN TüR AUFGING“

„Wir haben nichts falsch gemacht!“ Diese Botschaft ist Sandra (voller Name der Redaktion bekannt) wichtig. Sie richtet sie an Frauen, die sexuellen Missbrauch erlitten haben. Die vielleicht aus Scham nicht darüber sprechen, sich keine Hilfe suchen. Hilfe, die aber Sandras Erfahrung nach dringend nötig ist, denn der Missbrauch wirft schwärzeste Schatten auf das ganze Leben. In Bottrop gründet die 50-Jährige jetzt eine Selbsthilfegruppe für betroffene Frauen. „Wir haben keinen Grund, uns zu schämen“, unterstreicht sie. „Und wir haben die Täter ganz sicher nicht animiert“, tritt sie verbreiteten (Selbst-)Vorwürfen entschieden entgegen.

Sandra wurde als Kind missbraucht: „Ich habe mich schlafend gestellt“

Sandra schildert ihre erschütternden Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit: Sie war noch ein Kind, als ihr Stiefvater nachts ins Zimmer kam, in dem auch noch zwei Stief-Geschwister schliefen. Sie erinnert sich, in der Grundschule gewesen zu sein, als der Mann sie unten herum auszog, sie berührte. „Ich habe mich schlafend gestellt.“ Über die Jahre wurden die nächtlichen Heimsuchungen häufiger, missbrauchte er sie auch mehrmals in einer Nacht, erzählt Sandra. „Es war für mich schon ein Horror, wenn nur die Kinderzimmertür aufging.“

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Als „Belohnung“ habe ihr Stiefvater sie manchmal aus dem Bett geholt und mit ihr einen Horrorfilm geguckt. „Er nahm mich in den Arm und küsste mich.“ Bis in die Pubertät hinein ging das so, meistens nachts, seltener habe ihr Stiefvater sie auch tagsüber ins Bad oder Schlafzimmer gezogen.

In einer Nacht, sagt sie, habe ihre Halbschwester etwas mitbekommen und sie am nächsten Morgen darauf angesprochen. „Aber ich durfte ja nichts sagen. Und was hätte ich aus sagen sollen...“ Angst beherrschte sie. „Wir sind geschlagen worden, mit dem Rohrstock, dem Gürtel, mit Latschen.“ Ihr Stiefvater habe auch gedroht, sie ins Heim zu geben. „Ich wusste gar nicht, was ich falsch gemacht habe.“ Bedrohungen, Beschimpfungen waren an der Tagesordnung. „Ich wurde immer klein gehalten.“

Den Stiefvater anzeigen? Als junge Frau wollte Sandra das ihrer Mutter nicht antun

Nur an den Wochenenden oder in den Ferien, bei Oma und Opa, fühlte Sandra sich geliebt und frei. Dort zog sie als Teenager auch hin, mit 16 Jahren aber dann in ein Heim. „Dort wussten sie von meiner Geschichte.“ Man habe sie gedrängt, zur Polizei zu gehen. „Zu dem Zeitpunkt war ich aber noch sehr Mama-Kind.“ Den Stiefvater anzeigen? Das mochte sie ihrer Mutter damals nicht antun.

Heute spricht sie von „meiner Erzeugerin“. Denn als Sandra damals von zu Hause auszog und ihrer Mutter offenbarte, was der Stiefvater getan hatte, erhielt sie keine Unterstützung. „Er hat alles abgestritten. Sein Wort hatte Priorität für meine Erzeugerin“.

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Viele Jahre, sagt Sandra, habe sie einfach so weitergelebt, Vergangenes verdrängt. Sie stürzte sich in Partnerschaften, die scheiterten. Eine Beziehung mit einem Polizisten führte am Ende doch dazu, dass der Missbrauch zur Anzeige gebracht wurde. Im Zuge dessen wurde ihr auf den Weg gegeben, welche Unterstützungsangebote sie in Anspruch nehmen kann. Wie etwa die Frauenberatungsstelle Courage in Bottrop, auch heute an Sandras Seite, oder einen Rechtsanwalt.

Doch prompt folgte der nächste Schock: Inzwischen ja erwachsen, musste sie hören, dass die Taten ihres Stiefvaters strafrechtlich schon verjährt waren. „Das war so ein Schlag ins Gesicht für mich. Ich habe gedacht: Jetzt traust du dich, öffentlich den Mund aufzumachen, und es interessiert kein Schwein!“ Sie wandte sich an Magazine, gründete eine erste Selbsthilfegruppe in Essen, die aber im Sande verlief, führte Interviews mit der örtlichen Zeitung und dem Fernsehen, erzählt sie.

Infos zur Gruppe gibt es über das Selbsthilfebüro Bottrop

Die öffentliche Bewältigung, die Beratung durch Courage, der Gang zum Psychologen – alles Bausteine, die Sandra helfen. Aber ihre Wunden nicht verschwinden lassen. „Es zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Leben.“ Sie hat zwei Töchter. „Meiner Erstgeborenen ist das auch passiert“, sagt sie. Und appelliert an alle Erwachsenen: „Wenn ein Kind etwas in dieser Richtung erzählt, sollte man das auf keinen Fall abtun. Man sollte dem Kind glauben!“

Mit der Selbsthilfegruppe möchte sie Frauen die Chance geben, sich öffnen zu können, weil sie sich wirklich verstanden fühlen. Von den Wegen anderer Frauen, mit dem Missbrauch umzugehen, könne jede auch etwas für sich selbst mitnehmen, glaubt Sandra.

Die Selbsthilfegruppe trifft sich am Donnerstag, 23. Mai, um 17 Uhr im „Haus der Vielfalt“ an der Gerichtsstraße 3. Eine Anmeldung ist erwünscht, aber nicht verpflichtend. Jede Frau soll die Möglichkeit haben, ohne Druck teilzunehmen. Und wenn sie erst einmal nur dabei sein und nichts von sich selbst preisgeben möchte, ist das auch in Ordnung. Sandra wünscht sich nur, dass die Teilnehmerinnen gleichberechtigt an der Gestaltung der Treffen mitwirken.

Info und Kontakt übers Selbsthilfebüro Bottrop, 02041 23019, selbsthilfe-bottrop@paritaet-nrw.org

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